Zueinander Sorge tragen!

Zueinander Sorge tragen!

1. August-Rede 2022 von Nationalrat Walter Wobmann

Es gilt das gesprochene Wort

Lieber Herr Gemeindepräsident
Liebe Gemeinderäte und Mandatsträger
Liebe Froue und Manne

Ich freue mich sehr, dass wir uns am heutigen Tage versammeln können. Seit zwei Jahren Corona-Ausnahmesituation wissen wir alle nur zu gut, dass das alles andere als selbstverständlich ist. Wie herrlich es doch ist, dass wir uns alle wieder treffen und den Sommer beim Besuch von Restaurants und Veranstaltungen geniessen können!

Der Geburtstag unseres Landes ist ein Tag zum Feiern, aber auch der Besinnung und des Innehaltens. Keine Frage: In keinem anderen Land leben die Bürgerinnen und Bürger mit so viel Freiheit, Selbstbestimmung, Sicherheit und Wohlstand wie in der Schweiz.

Wir dürfen aber nie vergessen, dass der heutige Wohlstand, in dem wir leben dürfen, nicht von den Bäumen gefallen ist, sondern mit viel Blut und Schweiss von unseren Vorfahren erarbeitet worden ist. Es geht uns heute nur so gut, wie wir uns als Volk und als Gemeinschaft tagtäglich anstrengen und uns gegenseitig unterstützen.

Für vieles von dem, was die 731-jährige Erfolgsgeschichte der Schweiz ausmacht, wurde der Grundstein im Bundesbrief 1291 gelegt. Unsere Vorväter entschlossen sich, in Zeiten grosser Gefahren zusammenzustehen und einander Beistand zu leisten. Als Eidgenossenschaft und im Vertrauen auf den höchsten Gott, schlossen sich die Talschaften Uri, Schwyz und Unterwalden zusammen – gegen fremde Steuervögte und fremde Richter. Im Laufe der Jahrhunderte hat sich gezeigt, dass die Eidgenossen immer dann erfolgreich gewesen sind, wenn sie untereinander einig waren – und die Finger von Übermut und Grössenwahnsinn liessen.

Heute ist die Schweiz ein grossartiges Land. Nirgendwo sonst auf der Welt haben die Bürgerinnen und Bürger so viel zu sagen. Das verdanken wir unserer direkten Demokratie, dem Föderalismus und der Vielfalt der Sprachen und Kulturen. Wir haben einen Staatsaufbau von unten nach oben – und nicht von oben herab. In der Schweiz ist das Volk der Souverän – bei uns seid Ihr, die Bürgerinnen und Bürger, die Chefs! Viele Politiker in Bundesbern vergessen das leider häufig, wenn sie sich viel zu wichtig nehmen und meinen, Volksentscheide nicht umsetzen zu müssen…

Dazu passt übrigens folgender Witz von Loriot ganz gut: Der beste Platz für solche Politiker ist das Wahlplakat. Dort sind sie tragbar, geräuschlos und wieder leicht zu entfernen.

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Leider geht es nicht allen so gut wie uns in der schönen Schweiz. Währenddem wir hier zusammengefunden haben, setzt sich der Krieg in der Ukraine immer noch fort. Dieser völkerrechtswidrige Angriffskrieg macht mich zutiefst betroffen. Krieg ist immer die schlechteste aller Optionen. Von daher ist unfassbar, dass wieder kriegerische Handlungen auf europäischem Boden stattfinden und so viele unschuldige Menschen ins Elend gestürzt werden.

Es macht mich gleichzeitig stolz zu sehen, wie viele Schweizerinnen und Schweizer sich bereits für Hilfsbedürftige und Verfolgte eingesetzt haben. Dort zu helfen, wo andere an Leib und Leben bedroht sind und zur Flucht gezwungen wurden – das macht die humanitäre Tradition der Schweiz aus. Wenn wir aber meinen, Waffen und Munition liefern zu müssen, verspielen wir unsere Glaubwürdigkeit als neutrale Vermittlerin. Dass es der Schweiz so gut geht und dass sie unter anderem zwei Weltkriege unbeschadet überstanden hat, verdanken wir zu guten Teilen unserer immerwährenden bewaffneten Neutralität. Es war ein grosser Fehler des Bundesrats, dass er die Schweiz in den Uno-Sicherheitsrat geführt hat. Dort sitzen wir jetzt neben autoritären Regimes wie China und Russland und entscheiden über Krieg und Frieden auf dieser Welt. Wenn wir die Neutralität weiterhin mutwillig zerstören, so entziehen wir uns das Fundament, auf dem wir bisher friedlich und sicher gelebt haben.

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Was uns der Ukraine-Krieg ebenso schmerzlich vor Augen geführt hat: Der Staat macht heute alles Mögliche und Unmögliche, aber das Wichtigste hat er viel zu lange sträflich vernachlässigt. Die innere und äussere Sicherheit ist die Basis für unsere Existenz, für das Überleben der Schweiz und jedes Einzelnen von uns – doch unsere Armee kann uns nicht mehr schützen. Ohne Sicherheit gibt es keine Freiheit, keine funktionierende Wirtschaft; ohne Sicherheit gibt es nichts. Wir müssen darum unsere kaputtgesparte Armee wieder verteidigungsfähig machen, damit sie Land und Leute schützen kann. Die Armee muss für alle modernen Bedrohungsszenarien vorbereitet sein.

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Wir erleben in diesen Zeiten, dass Dinge, die wir für lange Zeit als selbstverständlich angesehen haben, massiv bedroht sind. So warnt der Bund eindringlich vor einer Strommangellage bereits ab dem kommenden Winter. In der wohlhabenden Schweiz wird es bald möglich sein, dass Unternehmen der Strom abgestellt werden kann und wir in unseren Wohnungen und Häusern sitzen und frieren müssen. Es herrscht in der Energieversorgung Alarmstufe Dunkelrot!

Auch wenn es der Bundesrat und viele Politiker in Bundesbern nicht gerne hören: Diese Krise ist zu grössten Teilen selbstverschuldet. Die Energiestrategie 2050 ist krachend gescheitert. Technologieverbote – Stichworte: Ausstieg aus der Kernenergie, Verbot von Verbrennungsmotoren – sind schädlich und hemmen Fortschritt und Entwicklung.

Alternative Energien sind gut und recht und sollen auch gefördert werden. Wir müssen aber auch so ehrlich sein und zugeben, dass Wind- und Solarkraft alleine die fehlenden Kapazitäten nie und nimmer ersetzen können. Die Schweiz ist kein Wind-Land. Und die Sonne scheint, wann sie will. Genau dann, wenn wir am meisten Strom brauchen – nämlich im Winter – scheint sie oft nicht.

Der Bundesrat muss alles unternehmen, um die drohenden Blackouts abzuwenden. Die Bevölkerung und die Unternehmen sind auf eine sichere und bezahlbare Energieversorgung angewiesen. Es muss Schluss sein mit den selbstmörderischen Experimenten einer ideologischen Wohlfühl-Politik!

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Wir beobachten seit einigen Monaten, dass die Preise für Benzin und Diesel explodiert sind und historische Rekordwerte erreichen. Ein Liter kostet weit über 2 Franken. Preisschilder von 2.20, 2.30, 2.40 sind vielerorts eine Realität. Für viele Familien und Unternehmen ist die Schmerzgrenze erreicht. Insbesondere für die Bevölkerung in ländlichen Gebieten, die auf das eigene Auto angewiesen ist. Ich möchte an unserem Nationalfeiertag keine Parteipolitik betreiben. Ich finde aber, dass ich es Euch schuldig bin zu sagen, dass ich mit meiner Partei dafür gekämpft habe, dass die Treibstoffpreise gesenkt werden – leider ohne Erfolg.

Rund 90 Rappen des Literpreises an der Zapfsäule gehen an den Staat. Verantwortlich dafür sind verschiedene Abgaben. Was wir jetzt dringend bräuchten, ist eine Entlastung des Mittelstands, die im Portemonnaie spürbar ist. Denn auch die Inflation (Geldentwertung) setzt den KMU und den Bürgern stark zu. Unter der schwindenden Kaufkraft leiden der Mittelstand und die weniger Verdienenden am meisten. Die Politik steht dringend in der Pflicht, alles zu unternehmen, um das Volk zu entlasten!

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Nicht nur die Inflation und die steigenden Energiepreise bereiten mir zurzeit grosse Sorgen. Ein ungutes Gefühl umschleicht mich auch, wenn ich die Bevölkerungsentwicklung der Schweiz anschaue. In den letzten 30 Jahren ist die Bevölkerung um rund 2 Millionen Personen gewachsen. Heute zählen wir fast 8,8 Millionen Einwohner – bald werden es 9 Millionen sein. Setzt sich das Bevölkerungswachstum, das fast ausschliesslich nur wegen der Zuwanderung so gross ist, im gleichen Tempo wie in den letzten Jahren fort, wird die 10-Millionen-Schweiz wohl bis im Jahre 2035 Realität sein.

Wollen wir wirklich weiter tatenlos zusehen, wie unser schönes Ländlein Jahr für Jahr mehr zubetoniert wird und immer noch mehr Menschen «zusammengepfercht» werden? Unsere Infrastrukturen platzen schon jetzt aus allen Nähten. Der Dichtestress und die extreme Nachfrage nach Wohnraum haben dazu geführt, dass die Preise stark gestiegen sind, so dass es gerade für Junge immer schwieriger, wenn nicht unmöglich geworden ist, noch Wohneigentum zu erwerben.

Ich jedenfalls will keine 10-Millionen-Schweiz! Sorge zu tragen zu unserer Schweiz, unserer Heimat, heisst für mich auch, Stopp zu sagen, wenn sich eine ungesunde Entwicklung fortsetzt.

Zueinander Sorge tragen – dies ist der Titel meiner diesjährigen 1. August-Ansprache. Tragen wir Sorge zum Land, zu unserer Natur und unseren Traditionen – aber auch zu unseren Mitmenschen. Mögen wir auch unterschiedliche Meinungen haben und die Ansichten der anderen kritisieren: Lernen wir wieder, einander zuzuhören und aufeinander zuzugehen. Auf dass uns dies wieder gelinge und wir die geschilderten Herausforderungen gemeinsam meistern – das wünsche ich mir und Ihnen in dieser wahrlich nicht einfachen Zeit von Herzen.

Nichts ist verloren – wir haben es in der Hand!

Euer

Walter Wobmann, Nationalrat, Gretzenbach SO